Steglitz-Zehlendorf - ein Zuhause für alle?

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In einigen europäischen Ländern ist der politische Rechtsruck spürbar und die Einschränkung von queeren Lebensrealitäten auf dem Vormarsch. So zum Beispiel auch in Polen. Dort hat Steglitz-Zehlendorf eine Partnergemeinde: Poniatowa. Poniatowa erklärte sich am 30. August 2019 zu einer LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender)-freien Zone. Juristisch sind sie zwar nicht durchsetzbar, aber sie zeigen den Versuch, das Leben von der LGBTQI+ Community einzuschränken. Seitdem sind über zwei Jahre vergangen, passiert ist aber wenig. Ein Gespräch mit Ellinor Trenczek und Alexander Niesser über Verantwortung und darüber, wie auch Steglitz-Zehlendorf queerfreundlicher werden kann.

Die Student*innen Ellinor Trenczek und Alexander NiesserDie Student*innen Ellinor Trenczek und Alexander Niesser, sind beide bei der SPD Steglitz-Zehlendorf und auch bei den Jusos aktiv. Bevor wir uns begrüßen, fällt mir sofort Ellinors Maske auf: Sie ist in den Farben der Regenbogenflagge besprüht. „Queere Themen hören nicht an den Bezirksgrenzen auf. Sie müssen berlinweit, deutschlandweit und international gedacht werden. Wir haben eine Verantwortung für Partnerstädte!“, findet SPD-Bezirksverordnete Ellinor. Solidarität alleine reiche nicht aus. „Wir sind keine Diplomat*innen, aber natürlich ist es eine Form der Diplomatie, eine Partnerschaft mit einer anderen Stadt oder einer anderen Kommune zu führen.“ Nach der Corona-Pandemie überlegen sie, hinzufahren, um dort die Gegenbewegungen in Polen zu unterstützen. „In Zukunft müssen wir uns leider darauf gefasst machen, dass Ponjatowa kein Einzelfall mehr sein wird. Wir sehen Entwicklungen, die stark nach rechts gehen, wo Frauenrechte und die von Queeren eingeschränkt werden. Als Bezirk können wir dann nicht passiv in Berlin sitzen, Grußworte und Appelle versenden, sondern müssen auch aktiv etwas tun!“ fordert Ellinor. Auch Alex pflichtet ihr bei: „Wir stehen weiterhin zu den Partnerschaften. Die Städtepartnerschaften aufzulösen, bedeutet, den queeren Communitys den Rücken zukehren!“

Mehr Schutzräume für den Austausch untereinander, wo Ansprechpersonen sich ohne Angst unterhalten können – das braucht es auch für Steglitz-Zehlendorf. Was in Polen (und jetzt auch in Ungarn) passiert, ist der Worst Case für die queere Community. Aber auch in unserem Bezirk brauchen wir Angebote für queere Jugendliche. Dafür setzen sich die beiden mitunter auch ein. Es gibt viele Räume für Jugendliche in Steglitz-Zehlendorf, aber explizit Räume für queere Jugendliche gibt es nicht. Das ist ein Problem, denn: Es sind andere Themen, Probleme und Diskriminierungsformen, mit denen sich queere Menschen konfrontiert sehen, als es für andere heterosexuelle Cis-Personen der Fall ist. Schutzräume sind deshalb auch wichtig, weil es auch in Berlin vermehrt Übergriffe auf queere Menschen gibt. „Es braucht Orte, an denen sie sein können und wissen: Hier bin ich sicher“, so Ellinor. 

„Queere Menschen werden oftmals einfach in einen Topf geworfen“, fügt Alex hinzu. „Ein queerer Raum ist nicht gleich ein sicherer Raum für Frauen. Auch in der queeren Community gibt es sexistische Denkmuster.“ Queere Räume seien oftmals auch stark männlich dominiert, erklärt Ellinor. „Viele Menschen assoziieren mit dem Begriff „queer“ den Begriff „Homosexualität“ – und das ist es eben nicht nur. Natürlich gehören homosexuelle Lebensrealitäten dazu, aber genauso auch die von Transidentitäten, intersexuellen Menschen und alles darüber hinaus. Damit gehen andere Lebenserfahrungen mit einher, andere Bedürfnisse und Diskriminierungserfahrungen. Bei queeren Schutzräumen muss man also darauf achten, dass diese nicht vor allem von männlichen Homosexuellen genutzt werden, sondern eben auch von allen anderen, die sich der queeren Community zugehörig fühlen.“ Wie so ein Raum aussehen kann, ist schwierig zu sagen: „Wir können nicht zu zweit oder als SPD entscheiden, wie diese Schutzräume aussehen sollen. Als lesbische Cis-Frau kann ich über meine Bedürfnisse sprechen, aber nicht über die von non-binären Menschen oder Intersexuellen.“, meint Ellinor. Um es aber so konkret wie möglich zu fassen: Es braucht eine beständige Institution, die selbstständig Angebote schaffen kann, eine Einrichtung für Vernetzung und das Zusammenkommen und in der man gleichzeitig Spaß haben kann. Auch an Beratungsangeboten für Jugendliche und ihre Angehörige dürfe es nicht fehlen. „Dafür braucht es personelle, finanzielle und räumliche Ausstattung!“, hebt Ellinor hervor. Außerdem benötigt Steglitz-Zehlendorf Wohneinrichtungen für queere Jugendliche und queere Geflüchtete. „Hier sollen alle Menschen ihr Zuhause finden!“, meint Alex.

Doch nicht nur den queeren Jugendlichen fehlt es an Schutzräumen: Auch für ältere queere Menschen gebe es keine Angebote im Bezirk. „Ältere queere Menschen wurden über die ganzen Jahrzehnte lang vergessen und werden jetzt einfach nicht mehr mitgedacht.“ Die haben nochmal andere Bedürfnisse als queere Jugendliche. Queeres Wohnen im Alter darf dabei nicht unter den Tisch geworfen werden: „Viele queere Menschen im Alter haben Schwierigkeiten mit dem Wohnen, einige haben keine Familie, also keine Kinder, die sich um sie kümmern könnten. Wenn die Partner*innen von queeren Menschen sterben, sind sie meist allein. Im Altersheim gibt es oft queerfeindliches Verhalten. Es muss also auch Wohnräume für ältere Menschen geben, die Schutzräume sind und nach den Bedürfnissen dieser Menschen gestaltet sind. Hier in Steglitz-Zehlendorf gibt es viele Altersheime und Unterkünfte, aber eben keine expliziert für queere Personen“, so Ellinor. Auch hier gibt es also Nachholbedarf. 

Die Hoffnung: Die Kommunalpolitik. „Diese Prozesse auf kommunaler Ebene zu betrachten und zu verändern, sei das Schöne. Wir müssen keine Schablone auflegen, sondern können schauen, was brauchen die Menschen der LGBTQ* Community hier vor Ort? Was sind ihre Bedürfnisse?“, so Alex. 

Es tut sich etwas, auch wenn es bisher sehr langsam voranschreitet. So wurde letzte Legislaturperiode von der FDP, SPD und der Linken gefordert, den Ausschuss für Frauen und Gleichstellung zum Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Queer umzubenennen. Der Antrag wurde im Mai 2020 eingebracht und Ende August dieses Jahres abgelehnt. „Da stehen wir als SPD immer noch dahinter“, meint Ellinor, „Uns ist es total wichtig, dass Frauen wie auch queere Menschen in der Ausschussbenennung explizit benannt werden und so Repräsentanz erfahren. Es ist eben nicht so, dass man das einfach so mitdenken kann.“ Die Grünen haben den Begriff „queer“ in der Ausschussbenennung ebenfalls abgelehnt: Sie fordern die Umbenennung auf: Ausschuss für Gleichstellung und Inklusion. „Inklusion ist für uns eine andere Debatte. Zu sagen, dass „Inklusion“ Frauen, Gleichstellung, Queere, Menschen mit Behinderung, Schwangere und Seniorinnen umfasst, ist schwierig. Da wir uns intensiv mit queeren Themen im Ausschuss befassen, sind wir der Meinung, dass dies sich auch im Namen wiederfinden soll. Es ist wichtig zu sagen: Wir sind als Ausschuss explizit für queere Menschen ansprechbar. Denn das war eine große Unsicherheit bei der Community. Sind sie auch mit „Frauen und Gleichstellung“ gemeint oder ist der Ausschuss nicht zuständig für ihre Anliegen?“, erklärt Ellinor.

Die Ausschussbenennung wäre so oder so ein rein formeller Akt gewesen, da der Ausschuss vor der Wahl im September nicht mehr getagt hat. Wenn auch: Ein Akt der Wertschätzung der queeren Community in Steglitz-Zehlendorf. Denn ja, es gibt sie.

Bei der ganzen Kommunalpolitik muss auch ein Blick über die Bezirksgrenzen gewagt werden: Andere Bezirke in Berlin haben eine beauftragte Person zu Queerthemen – zusätzlich zu einer Frauenbeauftragten. „Nicht jedes Bezirksamt hat diese Angebote, das Ziel sollte es aber sein, bezirksübergreifend zu kooperieren und so Angebote zu schaffen. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, dann wird das nichts“, so Alex. Es gibt einige Angebote in anderen Bezirken, die man sich als Vorbild nehmen kann, findet Ellinor: „Tempelhof-Schöneberg als Heimat des Regenbogenkiezes, dort gibt es Einrichtungen für Regenbogenfamilien. Da ist der politische Wille da.“ In Tempelhof-Schöneberg gibt es auch Angebote für queeres Wohnen im Alter. „Wir wissen alle wie angespannt und angestrengt der Wohnungsmarkt in Berlin ist. Queere Menschen haben es dabei noch schwerer, weil sie bei der Wohnungssuche oftmals diskriminiert werden. Deshalb ist es wichtig, queere Wohnmöglichkeiten zu schaffen. Da sind die Bezirke in der Verantwortung, Steglitz-Zehlendorf kann aufholen“, plädiert sie.

Wie so oft in der Politik hängt die Umsetzung der Forderungen von politischen Mehrheiten ab. Was genau in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt wird, ist noch unklar. Was bleibt, ist der kritische Blick auf die Kommunalpolitik Steglitz-Zehlendorfs und die Hoffnung, dass der Bezirk bald ein Zuhause für alle ist.

Dijana Kolak

Redakteurin der StadtrandNachrichten

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