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Wie erziehe ich mündige Demokraten

Wenn ich sicher sein will, dass mein Kind gelernt hat, sich selber zu behaupten und erwachsen in dieser Welt zurechtzukommen, muss es demokratische Erfahrungen machen dürfen.

"Wenn ich einmal groß bin, mache ich alles ganz anders!" Das ist ein Satz, den ich meistens gedacht habe, wenn ich als Kind enttäuscht wurde oder wütend auf meine Eltern war. Mir war etwas verboten worden oder ich hatte etwas zu erledigen, dass nicht so ganz meinen Vorstellungen entsprach. Es war meistens von Ohnmacht begleitet, denn die Entscheidungen der Mutter oder des Vaters waren kaum zu ändern. Die Eltern bestimmten und die Kinder hatten sich zu fügen. Wenn ich groß sein würde, würde ich meine Kinder anders erziehen, war mein fester Vorsatz. An Gleichberechtigung oder Mitbestimmung war Anfang der 1960er Jahre für uns Kinder nicht zu denken. Wir hatten einen festen Rahmen, in dem wir uns entwickeln, aufwachsen und bewegen konnten. Die Eltern waren die festen Pfeiler unseres Rahmens, den sie nach ihren Vorstellungen öffnen oder beschränken konnten. Unbedingter Gehorsam stand sehr weit oben auf der Liste der kindlichen Pflichten.

Heute, etwa 60 Jahre später, kann ich durchaus behaupten, dass ich viel anders gemacht habe. Ich habe aber auch viel aus der Erziehung meiner Eltern übernommen, denn so einfach, wie man es sich als Kind vorstellt, ist es nicht. Zwei Töchter wurden geboren und meine Perspektive änderte sich drastisch, als ich auf die Seite der Elternteile wechselte. Verantwortung, Fürsorge, Erfahrungen, perspektivisches Denken und eine dicke Portion Liebe bekamen eine ganz andere Bedeutung für mich und den Kindesvater. Die Änderungen der pädagogischen Grundsätze und Richtungen der letzten Jahrzehnte waren an uns nicht vorbeigegangen, weshalb uns insbesondere ein Umstand sehr klar war: Die neuen Familienmitglieder waren eigenständige Persönlichkeiten mit einem Willen, einer eigenen Meinung und sehr eigenen Vorstellungen von Anfang an. Wir hatten die Aufgabe, ihnen eine altersentsprechende stabile Förderung und Entwicklung zu bieten, die möglichst optimal ihre Eigenständigkeit unterstrich und sie zu selbstständigen jungen Erwachsenen formte. Gar nicht so leicht. 

Uns war früh klar, dass wir unsere Kinder nicht nach „unseren“ Vorstellungen formen konnten, sondern sie in ihrem Sein und nach ihren Begabungen begleiten mussten. Jegliche Versuche, meinen Kindern ein Musikinstrument nahe zu bringen, weil ich selber nicht wirklich eins gelernt hatte, scheiterten. Diese Kinder legten ihre Priorität auf sportliche Betätigung. Aber auch feines Ballett, das ich für kleine Mädchen schön fand, wurde später Feldhockey. Wir Eltern waren nicht diejenigen, die bestimmten, was in welche Richtung zu laufen hatte, sondern orientierten uns an den Neigungen und Vorlieben der Kinder. Das zog unweigerlich eine Diskussionskultur in der Familie mit sich, die bis heute nicht beendet ist. Auch wir gaben den Kindern einen festen Rahmen vor, der aber nicht mehr vergleichbar mit dem der frühen 60er Jahre war. Es gab – wenige – Regeln, zu denen beispielsweise Ehrlichkeit gehörte. Hausaufgaben mussten gemacht werden. Das Essen muss wenigstens probiert werden. Pünktlichkeit ist geboten oder es wird Bescheid gesagt. Wenige Verbote, wie beispielsweise nachts alleine in den Park gehen, waren unumstößlich. Das meiste war verhandelbar, sofern es einer gesunden Entwicklung und der Sicherheit der Kinder nicht zuwiderlief. 

Die Diskussionen mit den Kindern waren oft hart. Wer sich für diesen Erziehungsstil entscheidet, muss bereit sein, sich selber als Person nicht vor die der Kinder zu stellen. Kinder stellen infrage, sie hinterfragen und geben sich nicht leicht mit bequemen Antworten zufrieden. Kinder wollen Erklärungen, Vorgänge oder Verbote für sie verständlich nachvollziehen können. Sie wollen grundsätzlich als gleichwertig verstanden werden. Treffen sie in vorgegebenem Rahmen Entscheidungen, müssen die von den Eltern nicht nur akzeptiert werden, sondern auch jeglichen Rückhalt spüren lassen. Kritik ist erlaubt, muss aber in beide Richtungen möglich sein und auch eine Entschuldigung wird vom Kind durchaus verstanden. 

Die Basis dieser Erziehung ist die Kommunikation. Gespräche, Diskussionen, Erklärungen, Dialoge, Monologe und noch mehr Unterhaltung, Meinungsaustausch, Rücksprache. Das wiederum fördert Sprachvermögen und den Wortschatz der Kinder. Es stärkt das Selbstvertrauen und das Denkvermögen. Kinder lernen zu differenzieren und andere Meinungen zuzulassen. Und nicht zuletzt lernen sie die Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen und deren Konsequenzen zu tragen. 

Der Nachteil des Ganzen: Dieser Erziehungsstil ist anstrengend. Blinder Gehorsam und Disziplin sind für Eltern einfacher, aber bei Weitem nicht so zufriedenstellend. Wenn ich sicher sein will, dass mein Kind gelernt hat, sich selber zu behaupten und erwachsen in dieser Welt zurechtzukommen, muss es demokratische Erfahrungen machen dürfen. Das fordert Eltern oft viel Geduld ab. Ganz besonders, wenn in Stresssituationen keine Zeit gegeben ist, um alles auszudiskutieren. Dann muss entschieden und akzeptiert werden. Die Diskussion wird allenfalls eine Nachbetrachtung. Daneben müssen Kinder auch lernen, dass es in Schule und Beruf unumstößliche gesellschaftliche Regeln und Gebote gibt, die nicht zu ändern sind. Die Diskussionskultur innerhalb unserer Familie führte zu zahllosen Elterngesprächen in der Schule, in der unsere Kinder oft nicht bereit waren, Ungerechtigkeiten oder mangelnde Erklärungen seitens der Lehrkräfte zu akzeptieren. 

Heute sind unsere Kinder erwachsen und gehen ihre eigene Wege. Wir haben allenfalls beratende Funktion in ihrem Leben. Dahinter steht aber die Sicherheit, dass sie gelernt haben, Entscheidungen zu treffen, für ihre Belange einzustehen und sich gesellschaftlich sicher zu bewegen. Wir haben oft erlebt, dass unsere Kinder in Diskussionen bessere Ansätze als wir hatten oder gute Ideen entwickeln konnten. Ganz einfach, weil sie es können, altersentsprechend von Anfang an. Ich denke, dass wir intuitiv, weitgehend demokratisch erzogen haben, nicht mal als bewusste Entscheidung, sondern aus unserem Selbstverständnis gegenüber der Persönlichkeit unserer Kinder heraus. Und trotzdem bin ich mir fast sicher, dass auch sie einmal gesagt haben: "Wenn ich einmal groß bin, mache ich alles ganz anders!"

Anna Schmidt


Demokratie und Beteiligung in der offenen Jugendarbeit
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