Zu Gast bei Freunden?

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Gefühle und Fragen zum deutschen Asylsystem

Ich habe in den letzten Jahren viele Menschen kennengelernt, die auf verschiedene Weise und über Jahre nicht die Möglichkeit hatten, in Berlin gleichberechtigt zu arbeiten, aktiv zu werden, zu wohnen und zu leben. Sie hatten gemeinsam, dass sie als (junge) Erwachsene nach Deutschland kamen und bis zu dem Moment, an dem wir uns kennenlernten, noch keinen gesicherten Aufenthaltsstatus hatten.

So ist das halt, wenn man einwandert, könnte man sagen. Aber dieser Umstand hält für viele über Jahre an und lässt sie immer wieder gegen sichtbare und unsichtbare Mauern laufen. Einige Grundrechte in der deutschen Verfassung gelten nur für Deutsche und sind für Asylsuchende und Menschen mit Duldung ausgesetzt: Dazu gehört die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Artikel 8 und 9) sowie das Grundrecht auf Freizügigkeit (Artikel 11) und die Berufsfreiheit (Artikel 12). Diese werden explizit nur Deutschen zugesprochen. "Ist das noch demokratisch?", möchte man fragen, während im Hinterkopf vielleicht eine Stimme sagt, aber vielleicht ist es doch notwendig um Migration zu kontrollieren? Auf Demonstrationen hört man geflüchtete Aktivist*innen häufig rufen: “Wir wollen eine Ausbildungsbewilligung, wir wollen eine Arbeitserlaubnis, wir wollen nicht mehr im Heim bleiben!” Ihre Meinung ist klar und ihr politisches Engagement zeigt, dass sie in der Praxis Teil der deutschen Gesellschaft sind, auch wenn es genau diese Zugehörigkeit ist, um die sie kämpfen. Im Rahmen meiner Masterarbeit frage ich, wie Deutsche und in Deutschland lebende Menschen über die oben beschriebene Situation von vielen Geflüchteten und Asylsuchenden denken. Ein paar Eindrücke und Fragen meiner Untersuchung stelle ich hier dar.

Wir treffen uns am Rand eines kleinen Parks in Tempelhof. Fünf Menschen, die sich bis zu diesem Abend im Juli nicht kannten, sitzen um einen Tisch herum. Sie haben sich auf meinen Aufruf hin gemeldet, um über Demokratie und Grundrechte zu sprechen. Alle Teilnehmenden lesen die Geschichte von Ababakar Adoum. Die Geschichte könnte wahr sein, ist aber aus verschiedenen Geschichten zusammengesetzt. Ababakar Adoum kommt aus dem Tschad, ist seit 2016 in Deutschland und ist rechtlich gesehen gezwungen, in einer Unterkunft für Geflüchtete in Brandenburg zu leben. Die Aufnahme einer Arbeit scheitert immer wieder, weil er nicht rechtzeitig eine Arbeitserlaubnis bekommt und er ist sich unsicher, wie sein Leben in Deutschland weitergehen soll beziehungsweise, ob es überhaupt weitergehen wird. Er hat das Gefühl, in all den Jahren nie eine Chance in Deutschland bekommen zu haben. Die Gesprächsrunde in Tempelhof war die zweite von vier Gesprächsrunden, die ich für meine Masterarbeit durchgeführt habe.

Nach dem Lesen des Textes entschuldigt sich Nicole, eine der Teilnehmer*innen. Es täte ihr leid, dass sie gelacht habe, aber die Geschichte hätte sie eben so an die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick erinnert, der – als er aus dem Gefängnis kommt – ohne Ausweis dasteht und in einen „Kreislauf ohne Ende“ gerät. Sie fasst das Problem anschaulich zusammen: „Er hatte keinen Ausweis. Ohne Ausweis keine Arbeit. Ohne Arbeit kein Ausweis. Ohne Ausweis keine Wohnung. Ohne Wohnung keine Arbeit.“

Es gibt eine wissenschaftliche Studie, in der Menschen mit dem Schicksal verschiedener marginalisierter (also in der Gesellschaft benachteiligter) Gruppen konfrontiert werden und angeben, wie sie sich im Verhältnis zu den entsprechenden Gruppen fühlen. In der Studie interessieren sich die Forscher*innen für Emotionen. Sie zeigen, dass vor allen Dingen ein Gefühl von Ungerechtigkeit Menschen dazu bringt, sich zu engagieren. Engagement hängt aber auch von der Wahrnehmung der Gesamtsituation ab. Wird die Notsituation als selbst verschuldet wahrgenommen, gibt es Rechtfertigungen für die Nachteile der marginalisierten Gruppe oder lässt sich die Notsituation „kleinreden“? Ich war daher neugierig und achtete darauf, wie Menschen argumentierten und die Situation der Asylsuchenden in Deutschland einordneten.

Eine Teilnehmerin der ersten Gruppendiskussion beschrieb, dass sie sich wütend, traurig und hilflos fühlen würde. Sie empfand den Schwebezustand und die Einschränkungen, die Ababakar Adoum erfährt, als ungerecht. Das System würde sich „NULL“ für die einzelnen Menschen interessieren, sagte Laura sichtlich frustriert und wütend. 

Wenn es darum geht, wie man die Unterdrückung einer Gruppe von Menschen empfindet, zeigte sich in den Diskussionen, dass auch der Neuheitswert einer Geschichte eine Rolle spielt. Nicole sagt zum Beispiel, dass das Problem „altbekannt“ sei, eine andere Teilnehmerin sagte, „solche Fälle gibts viele.“

Neben dem Austausch von persönlichen Erfahrungen und Meinungen, wurden in den vier Gruppendiskussionen auch viele Fragen gestellt, die sich an eine solche Geschichte anschließen.

Wenn die Lebensverhältnisse in anderen Ländern so sind, dass Menschen lange und gefährliche Migrationswege auf sich nehmen, wie kann man dann darüber entscheiden, wer einen „guten Asylgrund“ hat? Was ist, wenn man die Ausbeutung und Naturzerstörung durch reiche Länder in armen Ländern im globalen Süden und Osten mitbedenkt? Ist die menschliche Sicht, dass eigentlich jeder Mensch einen Wohnort, eine Arbeitsstelle und Menschenrechte verdient hat, nur eine Utopie? Hat die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten etwas mit der Sozialisation und der Moral der einzelnen Menschen zu tun? Gibt es eine andere Seite der Migration: Konfliktpotenzial und Menschen, die migrieren, um die soziale Sicherheit in Deutschland auszunutzen? Wie können wir die Grausamkeiten an den EU-Außengrenzen zum Beispiel im Camp Moria in Griechenland oder an der bosnischen Grenze zulassen?

In den Diskussionen wurden sehr viele verschiedene Gedanken zusammengebracht, was die Teilnehmer*innen als positiv empfunden haben – auch hatten viele das Gefühl, dass eineinhalb Stunden kaum für die Diskussion ausreichten. „Und nachher verdränge ich das alles wieder“, sagte Laura, nachdem sie über die Situation an der bosnischen Grenze gesprochen und sich geärgert hatte, wie herablassend teilweise über Asylsuchende gesprochen wird.

Mein Eindruck ist, dass Menschen die Situation von Asylsuchenden zum Teil gar nicht kennen oder sie aus ihrem Alltag verdrängen. In meiner Masterarbeit soll man lesen können, was passiert, wenn ein Gespräch entsteht, in dem die Rahmenbedingungen des Asylsystems im Zentrum stehen und Menschen persönlich angesprochen werden.

Dass in der Demokratie alle gleich sind, ist eine Vorstellung, die offensichtlich eher als Ideal oder Wunsch denn als Realität angesehen werden kann. Aber demokratische Systeme mit allen Fehlern und Missbräuchen haben die Eigenschaft, dass Machtverhältnisse und Gesetze auch infrage gestellt werden und als ungerecht benannt werden können. Zum Beispiel wurde die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen infrage gestellt, als Frauen für ein Wahlrecht eintraten und es schließlich erhielten. Der Ausschluss von Migrant*innen aus gesellschaftlichen Bereichen wie Wohnen, Arbeit oder Politik stellt eine der größten Ungleichheiten in unserer Gesellschaft dar und wer sie infrage stellen möchte, muss sie zuerst benennen.

Wer sich darüber informieren möchte, wie die verschiedenen Parteien zu asylpolitischen Fragen stehen, kann auf eine Aufstellung von Antworten der fünf größten Parteien zurückgreifen

 https://www.proasyl.de/news/wahlpruefsteine-die-parteien-zu-flucht-und-asyl/

Women in Exile, International Women Space, Corasol, No Border Assembly, Seebrücke Berlin oder Schlafplatzorga sind Organisationen, die sich in Berlin für die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen einsetzen.

Luca Zimmer


Wie erziehe ich mündige Demokraten
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