Gel(i)ebte 
Demokratie – mehr als zwei Kreuzchen?

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Die Wahl ist vorüber. Wir haben endlich wieder zwei Kreuzchen gemacht! Unsere demokratische Pflicht ist erfüllt und wir können uns wieder vier Jahre lang guten Gewissens über „unsere Politiker*innen“ aufregen. Und das wars dann mit unserem demokratischen Handel? 


So oder so ähnlich fühlt es sich manchmal für mich an, wenn ich mit unterschiedlichsten Menschen in meinem Umfeld über Demokratie und die vergangene Wahl spreche. Die Demokratie wird reduziert auf ein im vierjährigen Rhythmus wiederkehrendes Ereignis, bei dem ich mal mehr und mal weniger über meine Entscheidung nachdenke. Gewertet wird das Ganze aber, als hätten wir damit die Chance, ganz Deutschland oder sogar die ganze Welt zu verändern.

 
Demokratie ist glücklicherweise wesentlich vielfältiger und Wahlen nur die vierjährig wiederkehrende Spitze des Berges. Dieser Berg steht im Fokus des Projektes „Mobile Lernwerkstatt Demokratie“. Ziel des Projektes ist es, Kinder und Jugendliche so für Demokratie und ihre Bandbreite zu sensibilisieren, dass aus ihnen eben keine Erwachsene werden, die alle vier Jahre einmal demokratisch Handeln. Die „Mobile Lernwerkstatt Demokratie“ möchte das Alltägliche und den oft wenig beachteten "Fuß des Berges" betrachten. Auf diese Weise sollen kommende Generationen für Demokratie in all ihren Facetten begeistert und diese in ihre Lebenswelt als aktiver Bestandteil verankert werden. 
 
Nur wie begeistert man Kinder und Jugendliche für etwas, dessen Spitze so hochragt, dass es Jahre dauern wird, bis sie das erste Mal an die Wahlurne schreiten? Indem wir dort anfangen, wo die Kinder sind: in Berlin, in Steglitz oder anderen Bezirken, ihrem Kiez und letztlich ihrer Schule.

 
Manche interessieren sich schon für die demokratische Prozesse. Andere müssen noch für die Sache begeistert werden. Unterschiedliche Interessen treffen auf unterschiedliche Lebensvorstellungen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Ausgangslagen. Sicher ist, dass sich das auch im Erwachsenenalter nicht ändern wird. Aus dem Grund ist es umso wichtiger, Kindern und Jugendlichen ein Selbstverständnis mit auf den Weg zu geben. Interesse an anderen mit ihren Unterschiedlichkeiten zu wecken sowie ihnen eine Konfliktfähigkeit an die Hand zu geben, die nach gleichberechtigten Lösungen für alle sucht, anstatt Schuld und Abgrenzung als Mittel der Auseinandersetzung zu festigen. 
So wie die Kinder die Schicksalsgemeinschaft der Klasse und Schule teilen, erleben sie es im späteren Leben im Beruf mit Kolleg*innen oder bei banalen Tätigkeiten wie das Fahren mit der U-Bahn oder beim Einkaufen im Supermarkt. Sie werden immer wieder Teil einer Gemeinschaft mit unterschiedlichen Ansprüchen sein, in der sie sich bewegen und behaupten müssen. 


Sie haben alle eine Richtung und dennoch meist ganz unterschiedliche Ideen und Wege zum Ziel. Oft begegnen sie Dingen oder Umständen, die sich nicht richtig anfühlen oder sie behindern. Um aber etwas zu erreichen oder zu ändern, müssen sie sich mit anderen zusammenschließen. Gleiche Interessenlagen müssen erst einmal gefunden werden, um anschließend einen gemeinsamen Plan zu entwickeln, der Einigungen erzielen kann. Es ist wichtig, dass sich alle in der Einigung wiederfinden, damit sich auch alle dafür einsetzen und möglichst viele Köpfe kreativ werden. Toleranz und Gemeinschaftssinn sind eine wichtige Basis für unsere Demokratie. 


Das Projekt wird also die Lebenswelt, den Kiez oder die Schule erkunden und Dinge sichtbar machen, die sie nicht gewagt haben, allein in Frage zu stellen oder an sie sich gewöhnt haben, weil sie eben schon immer so waren. Man darf gespannt sein, worauf die Kinder und Jugendliche aufmerksam machen werden und was sie gemeinsam zu verändern wollen. Die Kinder und Jugendlichen werden lernen zu hinterfragen, Missstände zu benennen, andere Betroffene und Verbündete zu aktivieren sowie Lösungswege ausfindig zu machen. 
 
Die Erarbeitung von Konzepten hierfür ist bereits vorangeschritten: Es wird mehrere “Koffer” zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen geben. In der ersten Phase ist bereits ein Koffer zum Thema Vielfalt entstanden, in dem es insbesondere darum geht, mit Kindern und Jugendlichen über die Bedeutung von Unterschiedlichkeiten im Zusammenleben ins Gespräch zu kommen. Die Teilnehmenden werden auch auf Ungerechtigkeiten stoßen, für die sie Wege des Umgangs in ihrer Lebenswelt entwickeln.  
Im Laufe der kommenden Monate werden weitere Koffer zu Themen wie demokratischer Kommunikation, Entscheidungsfindung und anderen entstehen. 
 
Am Ende der Reise mit der „Mobilen Lernwerkstatt Demokratie“ werden die Kinder irgendwo wieder an dem Berg stehen und auf den Weg zurückblicken, den sie gemeinsam gegangen sind. Ihnen wird vor Augen geführt, was Demokratie für jede*n einzelne*n als Lebensform sowie das Organisieren von Initiativen und Gruppen als Gesellschaftsform bedeutet. Bis zur Demokratie als Staatsform mit Wahlen ist es ein weiter Weg. In der Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen etwas zu bewegen und zu verändern, bedeutet für sie nachhaltiges Lernen. Sie sollen befähigt werden, zukünftig für die Gesellschaft, in der wir alle gemeinsam leben, Fragen zu stellen, aufzustehen und sich einzubringen! Sie werden aktiv erfahren, dass die Kreuzchen bei der vierjährigen Wahl nur ein kleiner Teil ihrer demokratischen Ausdrucksmöglichkeiten sind. 


Marcel Weiß
 Sozialarbeiter & Demokratiepädagoge
 Projekt „Mobile Lernwerkstatt Demokratie“
 Pädagogische Konzeptarbeit innerhalb des Studiums „Demokratiepädagogische Schulentwicklung und soziale Kompetenz“ FU Berlin


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