Mit großem Entsetzen habe ich die Nachrichten aus der Welt verfolgt. Nach dem Rückschritt eines deutschen Nachbarlandes, also ein für mich greifbar nahes Erlebnis, nun auch eine gering mehrheitliche Entscheidung zur Unmündigkeit in der autonomen Gestaltung der gesundheitlichen Lebensführung von Frauen in den USA.
Die Bilder der Demonstrierenden direkt nach der Bekanntgabe des Beschlusses sind sowohl beeindruckend als auch erschütternd. Ich habe beschlossen, nicht nur zuzuschauen und mein Bedauern in privaten Gesprächen auszudrücken.
Was genau stört mich?
Als erstes gehe ich also auf Spurensuche in mir … ich habe gern und viel Kritik an kapitalistischen, machtherrlichen und patriarchalen Systemen … irgendwie kommt hier doch alles zusammen. Warum also Frauen ihr Recht auf Selbstbestimmung nehmen und ihren Körper nicht als Gebärprodukt darzustellen? Die historische und geografische Liste dieser Abart an gesellschaftlichen Formaten ist lang … zu lang.
In einem Gespräch mit zwei mir sehr vertrauten Menschen habe ich Anteil an etwas haben dürfen, was mir im Vorfeld verwehrt blieb. Wir sitzen nachts in der Küche. Haben gemeinsam am Tag gearbeitet und uns jetzt für ein privates Gespräch getroffen.
Beide Cis Frauen sind Mütter und in Langzeitbeziehungen. Sie beschreiben eine Art Gefährdungspotenzial mit jedem Geschlechtsverkehr. Ihre Partner sind insgesamt aufgeklärt, zugewandt und verständnisvoll. Aber mehr als Verhütung in der Regel mit Kondomen kam für beide wohl nicht infrage. Was die beiden Frauen noch zusätzlich an Verhütung einsetzen wollten blieb ihnen selbstverständlich offen. Mir als polyamore und homosexuelle Frau war nicht klar, dass dieses Thema in heterosexuellen Beziehungen so groß ist.
Eine von beiden beschreibt es so: „Ich brauche die Nähe und die körperliche Liebe zu ihm, aber eben auch in Form einer Romantik und nicht – die Kinder schauen gerade einen kurzen Film Quicky – mittlerweile habe ich aber Angst, sobald er mit einer Kerze ankommt. Noch ein Kind … das schaffe ich nicht. Ich wüsste aber auch nicht, ob ich eine Schwangerschaft einfach abbrechen könnte.“
Ein Dilemma, vor dem sich viele Frauen stehen sehen. Ein Schwangerschaftsabbruch wird in mehreren Teilen der Welt und einigen der gängigen Religionen mit Mord gleichgesetzt. Schuld und Scham wird unter Frauen so selbstverständlich gestreut wie Parteiwerbung kurz vor der Wahl. Dabei ist es aus meiner Sicht ein sehr individuelles und vor allem jeweils einmaliges Recht, sich zu entscheiden, was mit dem eigenen Körper passiert oder nicht.
Es macht mich wütend. Ich fühle mich in meiner homosexuellen Sexblase plötzlich sehr klein. Auch ich habe Kinder. Und: Sie zu bekommen war ein harter und beschwerlicher Weg. Aber diese Geschichte ist eine andere. Zumindest kann ich nachvollziehen, was in einer Frau passiert und welchem Druck sie ausgeliefert ist sobald das gebärfähige Alter erreicht ist.
„Die Angst vor einer Schwangerschaft hat definitiv Einfluss auf meine Libido“, geht es im Gespräch weiter. „Seit 15 Jahren nehme ich jetzt die Anti-Babypille nicht mehr.“ „Herzlichen Glückwunsch dazu“, gratuliere ich … was dieses Wundermittel Frauen ermöglicht hat, ist mit nichts auf der Welt wohl zu vergleichen und dennoch bin ich erschüttert über die Etablierung und leichtfertigen Einsätze des medizinischen Produkts. Geburtenkontrolle in einer Art von Selbstbestimmung hat Frauen weltweit Chancen zu Bildung und Teilhabe ermöglicht. Aber zu welchem Preis. Liest frau sich den Beipackzettel eines dieser Wunderprodukte durch, sollte einem das blanke Grübeln überkommen. Nicht das die Periode an sich schon eine körperliche Herausforderung wäre, so ist der Eingriff in den Hormonhaushalt um ihn auf das Level - `nichtschwangerwerden´ zu halten, noch viel größer. „Zu den häufigsten Risiken und Nebenwirkungen der Pille zählen Kopfschmerzen, Gewichtszunahme, Zwischenblutungen, Stimmungsschwankungen, ein erhöhtes Thromboserisiko und ein erhöhtes Risiko hinsichtlich bestimmter Krebsarten sowie Herz- und Kreislauferkrankungen.“ https://www.cyclotest.de/nebenwirkungen-pille/ Danke cyklotest.de für die Auflistung all dieser ´Nebensächlichkeiten´. Zum Glück gibt es noch weitere Verhütungsmethoden wie: Die Spirale, das Hormon-Stäbchen, das Diaphragma, die symptothermale Methode, der Vaginalring und die Dreimonatsspritze. Gemein haben sie alle, dass es sich um Anwendungen für die Gebärmutterträgerinnen handelt.
Männer hingegen können bis jetzt exakt zwei zuverlässige Mittel nutzen, um eine Schwangerschaft zu verhindern: das Kondom – und die Vasektomie, also die operationelle Durchtrennung der Samenleiter. Das eine ist für viele störend – und das andere zu endgültig. (Obwohl sich über die Endgültigkeit einer Vasektomie auch noch mal streiten ließe – im Gegensatz zum weiblichen Pendant der Sterilisation, also der Trennung von Teilen der Eileiter zur Gebärmutter, welche nicht nur die Folgen der tatsächlichen Endgültigkeit, sondern auch massive körperliche und hormonelle Einflüsse auf den Rest des Lebens hätte).
Durchaus existieren eine ganze Reihe an Ideen für Verhütungsalternativen, auch für Männer – manche hormonell, manche hormon-frei. Sie alle haben sich aber bisher nicht am Markt durchgesetzt. In erster Linie, weil Gelder für die Forschung und damit Wirksamkeitsnachweise fehlen.
Bei Männern wäre die hormonelle Verhütung deutlich schwerer als bei Frauen zu bewerkstelligen. Dazu müssen wir verstehen: Eine Verhütungspille für Hodenträger muss bis zu 100 Millionen Spermien unterdrücken, immer, jeden Tag. Bei Frauen dagegen kontrolliert die Pille nur einmal im Monat den Eisprung, das lässt sich viel leichter erreichen.
Doch es gibt Hoffnung: Forscher in den USA stellten einen ganz neuen Ansatz für die Männerpille vor: „Bisher haben Forscherteams vor allem mit Hormonen wie Testosteron gearbeitet, um eine Männerpille zu entwickeln – weil es da aber bisher immer starke Nebenwirkungen gab, haben Forschende an der Uni von Minnesota jetzt einen Wirkstoff ganz ohne Hormone getestet, allerdings erst mal nur bei Mäusen. Bei denen aber hat es super geklappt: Die Nager waren nach einem Monat zu 99 Prozent steril. Bedenkliche Nebenwirkungen sind dabei nicht aufgetreten.
Die Pille blockiert ein bestimmtes Protein in den Zellen: Dieses Protein bindet normalerweise Retinsäure, das ist eine Form von Vitamin A in den Zellen. Das Protein spielt eine wichtige Rolle beim Wachstum und der Differenzierung von Zellen – und es ist entscheidend für die Bildung von Spermien.
Mit dem Wirkstoff YCT529 konnte das Forscherteam die Spermienbildung bei den behandelten Mäusen stoppen. Wenn die Tiere die Pille nicht mehr bekamen, waren sie nach vier bis sechs Wochen wieder fruchtbar und konnten gesunden Nachwuchs zeugen. In naher Zukunft könnten erste Tests mit Freiwilligen starten.“ https://www.swr.de/wissen/neue-verhuetungsmethoden-fuer-maenner-100.html
Wie wir weiter auf der Seite lesen können, gibt es noch weitere Optionen der Verhütungsmittel für Männer, wie Geleinspritzung in den Samenleiter zur Verlangsamung und Abtötung der Spermien, als auch Verhütungsslips, welche die Hoden in einer Position halten in der die „Wohlfühltemperatur“ der Spermien nicht erreicht werden kann und somit ihre Reproduktionsfähigkeit als auch ihre Produktion verhindert werden.
Aus meiner Sicht sind es spannende und erfolgversprechende Ansätze.
Mit Sicherheit wird keine dieser Methoden mit der Brutalität und Ethiklosigkeit wie damals mit der Antibabypille erforscht und durchgesetzt, aber vielleicht gibt es das ein oder andere weitere Forschungsteam, welches Lust auf Innovation hat. Mein Resümee fällt jedoch dunkel aus. Denn solange in den Gremien und Ausschüssen zur Vergabe von Forschungsmitteln Frauen nur teilnehmen, um Kaffee nachzuschenken und Protokolle zu tippen, bleibt die Medizin ein von Männern dominiertes und auf Männer fokussiertes Machtinstrument.
Danke an der Stelle an die Menschen, welche sich durch ihr Verhalten diesem Instrument entgegenstellen und danke an die Frauen, die so ehrlich mit mir gesprochen und meine Welt wieder ein bisschen weiter gemacht haben.
Eure Katja Krause
PS: Mittlerweile haben sich schon einzelne Staaten Amerikas mit Mehrheit für ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen. Es gibt noch viel zu schaffen.
Glossar:
Cis: „Eine Person, deren geschlechtliche Identität dem Geschlecht entspricht, das ihr bei der Geburt zugeschrieben wurde. Der Ursprung liegt im lateinischen „cis-“ (auf dieser Seite, diesseits, binnen, innerhalb), das Gegenteil von trans- (auf der anderen Seite, über-, hinüber-). Siehe hierzu auch Gender, geschlechtliche Identität.“ https://www.proutatwork.de/aufklaerung/das-kleine-abc/
Polyamor: „Die Vorsilbe «Poly», die aus dem Griechischen stammt und «viel, mehrere» heisst, zeigt, worum es bei der Polyamorie geht. Menschen, die Polyamorie leben, pflegen Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig, sorgen und kümmern sich um sie und haben Sex mit ihnen.“ https://www.familienleben.ch/leben/partnerschaft/polyamorie-eine-erfuellende-alternative-zur-zweierbeziehung-5236
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